Moin,
eine Geschichte, mitten aus dem Leben Anfang der 80er... Angeregt durch verschiedene Beiträge hier im EMF, die mir sehr gefallen haben, habe ich irgendwann den Entschluss gefasst, so etwas auch mal anzugehen. Einen passenden Auslöser fand ich durch eine interessante Begebenheit, die mir neulich im Hemelinger Hafen zu Bremen begegnete, mehrere mit Stahlplatten beladene Schwerlastwagen wurden mittels Gabelstapler entladen, fand ich super interessant:
Nun galt es "nur" noch, eine passende Geschichte um das Erlebte zu konstruieren und das nötige Zubehör (im Maßstab 1:220) zu basteln...
Die Rahmenbedingungen waren schnell abgesteckt, "schwierige" Umstände erfordern immer flexible Lösungen, das war auch Anfang der 80er schon so. Begrifflichkeiten wie "just in time", Kommunikation, Teamwork, Flexibilität, "...einen call tätigen..." usw. waren noch nicht in aller Munde, das wurde einfach gemacht. Erzählt werden soll eine Geschichte rund um einen außerplanmäßigen Stahlplatten Transport aus dem Stahlwerk Bremen, der durch das Zusammentreffen verschiedener, unglücklicherweise gleichzeitig auftretender Widrigkeiten genauso erforderlich wurde.
Beleuchtet werden die Hintergründe dieses Transportes aus "Betriebsbeamtensicht". Welche Vorschriften, Unterlagen, Fahrpläne sind maßgeblich, wie sieht so etwas aus, welche Entscheidungen, können, sollen und müssen anhand der Vorschriften und Unterlagen getroffen werden? Welche Dienststellen sind beteiligt, was ist Inhalt der Kommunikation, wie ist der Informationsweg zu den Beteiligten....? Da kommt einiges zusammen.
Hinweisen möchte ich noch darauf, dass es sich um eine rein fiktive Geschichte handelt, die immer mal mehr oder weniger große logische, auch fachliche Lücken, in jedem Fall eine große Portion Augenzwinkern aufweisen wird...
Auch sind die betrieblichen Unterlagen teilweise durch recht frei interpretierte Fakten "ergänzt" und/oder verändert worden!
Zu den Hintergründen:
Ein hochrangiger Mitarbeiter des Bundesverkehrsministeriums hat den Leiter des Stahlwerks Bremen persönlich angerufen: "Die Stahlplatten müssen umgehend Ihr Werk in Richtung Minden verlassen, spätestens Mittwoch den 30.06. muss der Zug unterwegs sein, sollen die da doch an irgendeinen Zug irgendeinen Hänger mehr dranhängen und fertig...!!!"
Damit fand das Gespräch sein abruptes Ende.
"Einfach irgendeinen Hänger mehr dranhängen..."
...war das, was den Bundesbahn Disponenten im Stahlwerk wenig später dann "von ganz oben" erreichte.
Was war passiert?
Am 23. Juni 1982 kam es in der Schachtschleuse Minden zu einer folgenschweren Havarie. Das GMS (Großmotorschiff) Edeltraut prallte in Folge eines kurzfristig aufgetretenen Maschinenschadens weitgehend ungebremst in das Schleusenausfahrtor und beschädigte dieses schwer. Die Folgen waren weitreichend: da sich eine weitere Schleuse in Minden ("Untere Schleuse") gerade in einer Umbaumaßnahme befand, war auch diese nicht zu nutzen. Die Verbindung zwischen der Weser und dem Mittelland Kanal war gestört, um nicht zu sagen unterbrochen. Eine wirkliche Katastrophe für die Binnenschifffahrt auf den Bundeswasserstraßen Weser und Mittellandkanal, siehe Skizze:
Was für ein Malheur, doch wir rauskommen, aus diesem Schlamassel? Das Schleusentor musste komplett erneuert werden. Wir sprechen über mehrere Tonnen an 20 mm starken Stahlplatten, die zu einer stabilen Neukonstruktion des Schleusentores verbaut werden mussten. Ein weiteres Problem dabei: so, wie die Stahlplatten aus dem Stahlwerk in Bremen kamen, konnten sie nicht verbaut werden. Da Wasser zur Natur eines Schleusentors gehört, mussten die Stahlplatten folglich zunächst wasserfest beschichtet werden. Und da kommt die Firma SBV in Heisterholz (Weser), wenige Kilometer vor Minden ins Spiel, da müssen die Stahlplatten vorbehandelt werden. In den Unterlagen habe ich noch einen alten Messe Prospekt von dem Unternehmen gefunden:
Tja und wie das Leben so spielt, "...manchmal hast du kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu..."
Selbstverständlich hat das Unternehmen SBV auch einen Gleisanschluss, nur erfährt dieser gerade eine schon lange geplante Gleissanierung, die sich noch mindestens eine Woche lang hinziehen wird. Somit ist das Unternehmen nur noch auf dem Wasserweg mit Schiffen (auf der Weser) zu erreichen. Eigentlich...
Durch den Schaden an der Schlachtschleuse in Minden ist zur Vermeidung eines Rückstaus an Schiffen die gesamte obere Weser für den Schiffsverkehr gesperrt...
Jetzt mussten schnelle Lösungen gefunden werden.
Also haben die schlagkräftigen Beamten der Betriebsleitung Hannover (mit Sitz an der Bundesbahndirektion/BD Hannover) folgende Plan ausgeheckt:
Die Stahlplatten sollen auf einem geeigneten Wagen mit einem planmäßigen Zug aus dem Stahlwerk Bremen nach Minden befördert werden. Dort wird der Wagen abgesetzt und mittels Sonderüberführung zur Haltestelle Hankenberge in die Ladestraße befördert. Von dort wiederum geht es per Straßenroller in das 4 km entfernte Heisterholz zur Firma SBV.
Und das wollte nun "mal eben" bis Mittwoch organisiert werden...
Der DB Beamte im Stahlwerk lässt sich derweil den Satz "...einfach irgendeinen Wagen an irgendeinen Zug anhängen..." immer noch genüsslich auf der Zunge zergehen. "Der hat ja Ahnung, der Meister, als ob irgendwelche Wagen einfach irgendwo rum stünden..."
Damit ging das Problem schon los, es hätte für die 79 Tonnen Stahlplatten eigentlich eines Samms bedurft, nach Rücksprache mit dem Direktions-Wagendienst war ein solcher kurzfristig allerdings nicht verfügbar. Im Werk stand nur noch ein Sa705, der gerade nicht gebraucht wurde. Und der hat weder Stirnwände noch -Rungen. Erstmal schauen, ob das überhaupt geht:
Genau die Ausnahme, die wir brauchen, das passt schon mal...
Schauen wir mal nach einem passenden Zug und nehmen die GZV (Güterzugbildungsvorschrift) zur Hand:
52740, der sieht doch schon mal gut aus, läuft er doch planmäßig über Nienburg - Minden, da soll die "Rollbahn" Bremen - Osnabrück -> Westen wohl keine freie Fahrplantrasse um die Zeit gehabt haben...
Ein Ganzzug bestehend aus leeren Fad-Wagen, der sogenannte "Leerkokser". Ein Blick in die Güterzugbildungsvorschriften Stichwort "...einfach einen Wagen irgendwo dranhängen...":
Sinngemäß "...Abweichung sind mit der Direktion und den beteiligten Dienststellen abzusprechen...", die Nummer ist vom Bundesverkehrsministerium angewiesen, geschenkt...
Schließlich musste die Sonderüberführung noch "eingelegt" werden. Wegen des immensen Zeitdrucks erfolgte die Einlegung fernschriftlich. Dieses Fernschreiben hatte es "in sich", schauen wir mal, was wem wie mitzuteilen war, ein paar Punkte, die da wären:
Welche Bahnhöfe und Dienststellen sind zu benachrichtigen?
Wer kümmert sich um das Absetzen des Wagens in Minden
Welche Dienststelle stellt die Lok und das Rangierpersonal für die Sonderüberführung. Wichtig: muss eine V-Lok (Diesellok) sein, weil die Ladestraße in Hankenberge nicht mit Fahrdraht überspannt ist!
Welche den Culemeyer und die Zugmaschine?
Diese Dienststelle (das Kbw Minden) muss auch kurzfristig ein Trage-Gestell für die Stahlplatten auf dem Culemeyer fertigen.
Welcher Fahrplan für die Sonderüberführung nach Hankenberge wird benötigt und so weiter und so weiter...
Hier also das Telex:
Auf andere Ebene (zwischen dem Transportdienstleister Deutsche Bundesbahn und dem Kunden/Frachtempfänger SBV) zu regeln war die Bestätigung der Absprache zwischen diesen beiden. Da wurde zunächst fernmündlich vereinbart, dass die Firma SBV das entsprechende Entladegerät sowie den Bediener desselben stellt. Da musste alles seine "behördliche" Ordnung haben! Hier noch mal das entsprechende Bestätigungsfernschreiben der Generalvertretung Minden an die Firma SBV:
Nun stellen wir uns einfach vor, es wäre der 30.06.1982, alles ist soweit vorbereitet, die Sonderüberführung der Stahlplatten auf dem Sa705, gereiht an der Spitze (= vorne) bei Zug Gdg 57240 kann im Stahlwerk Bremen starten.
Der Blick in den Buchfahrplan:
Und nochmals für den "relevanten" Abschnitt von Nienburg nach Minden:
Die wetterlichen Verhältnisse waren ähnlich wie in diesem Sommer, durchwachsen, von allem etwas. Hier begegnet uns der Zug gleich hinter der Abzweigung auf die "Natobahn" (Beiname für die Strecke Nienburg - Minden), im Hintergrund ist noch die Strecke Nienburg - Hannover zu erahnen:
Unser Gdg 57240 hat inzwischen Windheim erreicht, hier heißt es kurzzeitig Hp0, Zughalt, dort nimmt der Tf, wie in dem Einlegefernschreiben bestimmt, den Befehl Ad für den außerplanmäßigen Halt in Minden Gbf zum Absetzen des Stahlplattenwagens entgegen.:
Und noch ein Blick auf die Durchschrift des Befehls, die der Fdl Windheim als Beleg für die Aushändigung behalten hat, so sah das Dokument aus:
Nach kurzem Aufenthalt heißt es nur „...Tschüss und gute Fahrt...“ die beiden Eisenbahner verabschieden sich, der Fahrdienstleiter zieht das Ausfahrsignal und es kann weitergehen.
Unser 57240 passiert kurze Zeit später die Haltestelle Hankenberge, dort soll der Sa705 mit den Stahlplatten eigentlich hin, doch keine Chance, ihn hier abzusetzen. Noch ist absolut nichts los im Bereich der Ladestraße. Es geht für 57240 weiter gen Minden...
(Bitte nicht erschrecken, dass das Blocksignal für die Gegenrichtung "Fahrt" zeigt, es ist inzwischen durchgeschaltet worden und signalisiert damit nur noch Durchfahrt...)
Doch wenig später ein Hauch an Betriebsamkeit in Hankenberge. Sowohl das Culemeyer-Gespann als auch das "Entladegerät" der Firma SBV sind inzwischen eingetroffen, es folgt eine kurze Absprache, der DB Fahrer ist ein wenig verdutzt:
"Moin, Gabelstabler? Was willst du da denn mit??"
"Moin auch, Stahlplatten laden, was sonst, machen wir im Werk immer so..."
"Na wenn du das sagst... Kann ich den Hänger da so stehen lassen? Sonst sach jetzt, ich wollt später nochmal eben los..."
"Jo passt, lass man so stehen..."
Damit wäre auch das schon mal geregelt.
Kurz vor Minden, ein letzter Blick auf 57240, hier rollt er an einer inzwischen "offen gelassenen" Ladestelle vorbei, die später auch der Nahgüterzug mit der Einzelwagenladung Stahlplatten auf dem Weg nach Hankenberge nochmals passieren wird...
Etwa zur gleichen Zeit ist die später in Minden benötigte 212 noch mit einer Übergabe auf einer Nebenstrecke unterwegs. Auch diese Fuhre wird Minden Güterbahnhof in Kürze erreichen.
Nachdem beide Züge in Minden angekommen sind, muss es jetzt ruckzuck gehen. Die 140er von 57240 setzt den Stahlplattenwagen ab, setzt zurück an den Zug, Bremsprobe, Papiere aktualisieren und weiter gehts...
Die 212 nimmt darauf den Sa705 an, Bremsprobe, der Zugabfertiger händigt Wagenliste und Bremszettel aus, der Tf schlägt den Buchfahrplan mit dem Vergleichsplan auf und schon kann es auch da losgehen. Das Ausfahrsignal zeigt "Fahrt", der Tf betätigt das Fahrschalterhandrad, der Zug setzt sich in Bewegung...
…um wenige Minuten später an schon bekannter Stelle vorbei zu kommen.
Dort ist der Kollege von der Gummibahn ebenfalls recht flott unterwegs.
"...Wettfahrt oder was...??" Die Blicke der beiden Fahrzeugführer treffen sich kurz, man grüßt sich und weiter geht die jeweilige Fahrt.:
Die kurze Fahrt des Nahgüterzuges neigt sich dem Ende, hier bei der Einfahrt nach Hankenberge:
Nun muss noch die Weiche aufgeschlossen werden (der Rangierer hat den Schlüssel aus dem Stellwerk geholt) und nachdem die Rangierabteilung dann bis vor die Weiche vorgezogen war, ging es geschoben in die Ladestraße. Der Rangierer befindet sich (mehr oder weniger vorschriftsmäßig ) an der Spitze und gibt das Signal Ra2 "herkommen":
Wenig später steht die Abteilung so, dass der Gabelstaplerfahrer mit seiner Arbeit beginnen kann. Die drei Eisenbahner, Lokführer, Rangierer und Kaelble-Fahrer haben sich zwischenzeitlich auf einen Pott Kaffee aus dem Staub gemacht: "Brauchst du noch Hilfe? Wir sind dann mal weg...!“
"Sabbelköppe“ denkt er sich noch so und legt einfach los. Die Stahlplatten-Entladenummer scheint offensichtlich zu funktionieren. Das macht der Kollege an der Stapelgabel nicht zum ersten mal:
Das Ende der Arbeiten ist abzusehen, vorsichtig fährt der Gabelstabler an den Wagen, nimmt drei Platten hoch, "schuckelt" sie sich zurecht...
...und verbringt sie auf den Culemeyer. Maßarbeit, gekonnt ist gekonnt!
Eine halbe Stunde später sind die Arbeiten durch, der Sa705 ist ent- der Culemeyer mit den Stahlplatten beladen. Die Ladung ist zwar nicht so sauber gestapelt, wie auf dem Eisenbahnwaggon, aber für die paar Straßenkilometer bei Schleichfahrt soll das wohl eben gehen. Die Ladung wurde verzurrt und der Kaelble setzte sich in Bewegung. Der Gabestabler ist auch schon auf und davon, schließlich müssen die Stahlplatten gleich im Werk bei der SBV ja vom Culemeyer wieder abgeladen werden. Auch die Eisenbahner von dem Güterzug wollen gleich wieder los, es geht in den Feierabend.
Mit seinem Gabelstabler hat er das Holzgestell auf dem Sa705 ziemlich zerrupft, aber die Nägel sind noch drin, das soll für die paar Kilometer zurück nach Minden noch eben passen.
Im Hintergrund rauscht gerade D739 von Bielefeld nach Hamburg Altona seinem nächsten Halt Leese-Stolzenau entgegen, der Lokführer will los, schließlich müssen sie zum Umsetzen erst noch nach Windheim: "So, hinter dem da können wir auf Strecke, ist das Holz da hintendrauf noch fest?? Wenn der Schnellzug durch ist, schließ mal Weiche auf, ich zieh dann vor..." "...jo Meister..."
Hinter dem Schnellzug ziehen die beiden schließlich ab, in Hankenberge ist wieder Alltagsruhe eingekehrt. Ein ereignisreicher Arbeitstag neigt sich dem Ende.
Eine ziemlich wahre Geschichte rund um einen Stahlplattentransport
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- Registriert: Mo 27. Feb 2023, 15:03
Eine ziemlich wahre Geschichte rund um einen Stahlplattentransport
Zuletzt geändert von Michael Böttcher am Fr 19. Jul 2024, 15:21, insgesamt 3-mal geändert.
Schönen Gruß aus Bremen
Michael
Michael