Hallo zusammen,
der Buchautor und Fotograf Karl-Ernst Maedel, den sicherlich viele Kollegen auch hier im Forum kennen und auch schätzen und der hier auch schon Thema war (z. B. hier), könnte heute - sofern er noch unter uns weilte - seinen hundertsten Geburtstag begehen. Anlässlich dieses besonderen Datums hat Stefan Hinder gesten im HiFo eine Laudatio verfasst, die bestimmt nicht nur mir voll aus dem Herzen gesprochen hat. Ich hätte sie nicht besser schreiben können.
Hallo zusammen,
eigentlich müsste dieser Text am 2. September - also morgen - erscheinen. Da ich aber morgen überhaupt keine Zeit dazu haben werde, möchte ich diese Zeilen, die mir sehr am Herzen liegen, schon heute Abend hier schreiben und abschicken. Vor hundert Jahren – am 2.September 1919 – wurde Karl-Ernst Maedel geboren. Ich weiß nun nicht, für wie viele Teilnehmer bei dso Maedel noch die Figur ist, die sie für meine Generation von Eisenbahnfreunden war. Irgendwo – entweder in einer Zeitschrift oder hier im Forum – habe ich mal den Begriff „Generation Geliebte Dampflok“ gelesen. Volltreffer, besser könnte man es nicht ausdrücken. Es sind diejenigen Eisenbahnfreunde, die etwa von den frühen 1960er- bis zu den frühen 1970er-Jahren – oft nicht älter als 13, 14, 15 Jahre - begannen, mit dem Fotoapparat den letzten Dampflokomotiven nachzuspüren. Und sehr oft waren Maedels Bücher Anstoß, Leitfaden, Informationsquelle und auch so etwas wie väterlicher Begleiter. Klingt vielleicht ein bisschen albern, aber viel Verständnis konnte man für dieses Hobby von Außenstehenden nie erwarten – heute nicht und damals schon gar nicht. Es fanden sich ja stets nur wenige Gleichgesinnte, und bei Mitschülern (erst recht später bei den Mädchen...) musste man sich angesichts der Dampflokliebhaberei schon ganz schön ins Zeug legen, um nicht als verschrobener Außenseiter angesehen zu werden. Mit Maedel hatte man immer einen stillen Verbündeten, der einem deutlich machte, dass alles in Ordnung ist und auch noch andere diesem Hobby frönen.
Maedels erstes Buch, „Deutschlands Dampflokomotiven gestern und heute“, war 1957 noch in der DDR erschienen. Es war aber „Geliebte Dampflok“, 1960 bei Franckh herausgegeben, das den Grundstein zu Maedels Legende legte. Mehr noch: Ich würde sogar behaupten, dass „Geliebte Dampflok“ im Prinzip der Beginn der für uns heute so selbstverständlichen Literatur für Eisenbahnfreunde war, auch wenn es zuvor schon einzelne Versuche in diese Richtung (z.B: Franz-Ludwig Nehers „F 21“ von 1954) und natürlich Fachliteratur für Experten gegeben hatte.
Vielleicht hatte Maedel mit „Geliebte Dampflok“ das Glück, genau den richtigen Zeitpunkt erwischt zu haben. Die „Wiederaufbau“ in der jungen BRD war im Großen und Ganzen überstanden, und mit dem „Wirtschaftswunder“ hatten breitere Bevölkerungskreise allmählich Muße und auch Geld, um ein Hobby auszuüben. Viele Männer erfüllten sich damals einen Jugendtraum und kauften sich eine „elektrische Eisenbahn“ (der korrekte Begriff „Modellbahn“ wurde eigentlich erst in den späten 1960er Jahren Allgemeingut). Und besaß man erst einmal so eine „elektrische Eisenbahn“, dann erwachte oft nach und nach auch das Interesse für das große Vorbild.
In diese Situation stieß „Geliebte Dampflok“. Das Buch enthält schon praktisch alle Elemente, die Maedels Bücher auszeichnen: anschaulich erzählte Technikentwicklung, ein amüsanter kurzweiliger Schreibstil mit Humor und auch etwas Sentimentalität, Erzählungen von Führerstandsmitfahrten, und zwar sowohl fiktiv („Wölfe vor Block Schwarzheide“) als auch real erlebt („Lok 17 1179 fährt Fernschnellzug“), und letztendlich sogar schon ein wenig Reflexion über das Eisenbahnfreundesein selber im Schlusskapitel, das bezeichnenderweise wiederum „Geliebte Dampflok“ heißt.
Diese Mischung wirkte – fast zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung - auch bei mir. Wie für viele andere, war „Geliebte Dampflok“ mein erstes Eisenbahnbuch. Ich bekam es im Alter von zehn Jahren 1969 zu Weihnachten. Und in der Nacht zum ersten Weihnachtstag las ich es komplett durch. Nun mag das Leseverhalten damaliger Zehnjähriger nicht mit dem der heutigen zu vergleichen sein. Dennoch sagt dies Bände über die Qualität des Buches aus.
Wer in den 1960er Jahren Eisenbahnliteratur las, kam um Maedel nicht herum, die Liste seiner Publikationen aus dieser Zeit ist lang: „Weite Welt des Schienenstrangs“, „Giganten der Schiene“, „Die Dampflokzeit“, „Liebe alte Bimmelbahn“ und wie sie alle hießen. Maedel war Herausgeber des „Lok-Magazin“ , und auch im „Märklin-Magazin“ fand man ab Ende der 1960er Jahre das Kürzel „KEM“ unter und Maedels unvergleichlichen Schreibstil in den Artikeln, in denen die großen Vorbilder von Märklin-Modellen beschrieben wurden, z.B. der Baureihen 03.10, 24, 50 oder 89.
Dazwischen die „Bekenntnisse eines Eisenbahnnarren“, ein weiterer Meilenstein für die Legende Maedels, obwohl das Buch bei seinem Erscheinen 1964 bei vielen Käufern möglicherweise Enttäuschung auslöste – enthielt es doch keine geschichtlichen oder technischen Angaben, keine Tabellen, noch nicht einmal Fotos! Es war ein reiner Erzählband darüber, wie es ist, Eisenbahnfreund zu sein und wie man dazu wird. Mehr als in anderen Büchern trat hier Maedels an Vorbildern wie Karl May oder Theodor Fontane geschultes Talent als Erzähler in den Vordergrund, und es finden sich hinreißende Episoden, die jeder Eisenbahnfreund so oder so ähnlich schon einmal erlebt hat; wenn zum Beispiel die württembergische C, wegen derer man extra nach Heilbronn gefahren ist, ausgerechnet dann auftaucht, wenn auf dem Weg an die Strecke ein hoher Lattenzaun die Sicht versperrt. Man kann das Buch Ehepartnern, Freunden oder Bekannten an die Hand geben, wenn diese wissen wollen, was im Kopf eines Eisenbahnfreundes vorgeht – ich glaube, auch heute noch; nur dass die Objekte der Begierde bei heutigen „Jungfans“ nicht mehr „württembergische C“ oder „Elna 6“ heißen würden, sondern vielleicht „Taurus“ oder „Blue Tiger“.
So waren es im Wesentlichen die Erzähltexte und die Art, das Wesen der Dampfeisenbahn darzustellen, die Maedel so unvergleichlich machten. Einen kleinen Haken hatte die Sache zeitweise, und mich würde interessieren, wie das hier im Forum gesehen wird: Schon immer hatte zu Maedels Publikationen ein wenig Zivilisationskritik gehört. In den frühen Büchern erschien diese eher augenzwinkernd und versteckt, wenn er zum Beispiel einen Schrankenwärter über den „verflixten Benzingestank“ der Autos schimpfen ließ. Aber ab Anfang der 1970er Jahre nahm sie mehr Raum ein und wirkte zuweilen ziemlich aggressiv. In „Dampf überm Schienenstrang“ , 1970 erschienen, schreibt Maedel schon auf der ersten Textseite: „Die Zeit der Gefühle ist längst vorüber, das Gemüt scheint abgeschafft.“ Wenn er an anderer Stelle im Buch dann über den „mit Urlauten gegrölten Beat, die zur Literatur erhobene Unzucht“ und „die aus dem Irrsinn geborene Malerei“ philosophierte, war das für einen Teenager damaliger Zeit schon starker Tobak. Maedels in dieser Hinsicht düsterstes Werk ist wohl „Das Eisenbahn-Jahrhundert“ aus dem Jahre 1973. Hier rückt er das Verschwinden nicht nur der Dampflokomotive, sondern der Eisenbahn an sich in den Bereich des Möglichen, die damals aufkommenden Widerstände und Proteste gegen Atomkraftwerke bezeichnet er als „töricht“. Eigenartig eigentlich, denn auf der anderen Seite vertrat Maedel mit seiner öfter auftauchenden Kritik an der Zerstörung der Landschaft oder dem „aus den USA importierten Fortschrittswahn“ Positionen, die man heute als „grün“ bezeichnen würde.
Unter uns jungen Eisenbahnfreunden war dieser Charakterzug Maedels durchaus Thema, und wir neigten damals zu der Ansicht, dass sich womöglich schon so etwas wie Altersstarrsinn bei ihm zeigte. Das kann nicht sein, denn Maedel war damals ja erst Anfang 50 (was wir zu der Zeit nicht wussten). Heute neige ich zu der Ansicht, dass Maedel – offenbar durch und durch ein Kind traditioneller humanistischer Kultur- und Bildungsideale – die „68er“ mit ihren oft sehr rüde und provokant vorgetragenen Positionen zutiefst erschrecken mussten und ihn zu entsprechend heftigen Gegenreaktionen geführt haben dürften. Und in vielen Punkten hat Maedel durchaus Weitblick gezeigt. In den „Erinnerungen an die Dampfeisenbahn“ - 1982 als eines seiner letzten Bücher erschienen – stellt er die Mentalität der Eisenbahnfahrgäste einst und jetzt gegenüber:
„Bei der Kleinbahn – und nicht nur dort – bildeten die Fahrgäste im Abteil eine kleine Gemeinschaft. War der Zug voll und musste ein Reisender deshalb stehen, hieß es alsbald: Kommen Sie, Herr Nachbar, wir rücken noch ein Stückchen zusammen, dann gibt es auch für Sie noch einen Platz! - Wie völlig anders die Situation heute. Jeder Fahrgast möchte am liebsten zwei Plätze belegen, seine feindseligen Gesichtszüge weisen von vornherein alle Zusteiger ab; nur unwillig wird Platz gemacht. Diese erbarmungslose Feindschaft der Menschen untereinander, diese Rücksichtslosigkeit überall, diese Finsternis in den Gesichtern, diese Anti-Gemeinschaft, diese Freudlosigkeit in einer eigentlich herrlichen Welt!“
Immerhin, diese Zeilen erschienen 1982, das war aus heutiger Sicht fast noch die „gute alte Zeit“. Man kann diese Kette fortsetzen und auch ein bisschen relativieren: Vor einigen Tagen las ich in der Zeitung, dass es inzwischen auf 92 Prozent der Bahnhöfe in Deutschland keinerlei Servicepersonal mehr gibt. Kein Fahrkartenschalter, keine Information, kein Aufsichtsbeamter, keinerlei Ansprechpartner , vermutlich auch keine Toiletten und beheizten Warteräume – nichts! Ist es dann ein Wunder, dass die Leute mit einer gewissen „Grundaggressivität“ in den Zug steigen, vorausgesetzt, sie haben überhaupt mit List und Tücke (vorzugsweise „online“ oder am Automaten) irgendwie eine Fahrkarte ergattert….
...und schon bin ich selber in eine Art Maedelsches Philosophieren geraten. Lassen wir das, ich wollte doch eigentlich nur meine Verehrung für den Mann deutlich machen, der mich bis heute – und ich wiederhole es hier: ein bisschen wie eine Vaterfigur - durch das Eisenbahnfreunde-Dasein begleitet und weiterhin begleiten wird. Gern hätte ich ihn einmal persönlich kennengelernt (ein Wunsch, den sicherlich viele andere der „Generation Geliebte Dampflok“ teilen!). Jedoch mied er wohl eher die Öffentlichkeit, Einladungen zu Vorträgen oder dergleichen lehnte er in der Regel ab. Mehr, als dass er irgendwo im Raum Frankfurt leben musste, habe ich zu seinen Lebzeiten nie gewusst. Daher gab es auch nicht die Chance, ihm so etwas wie „Fanpost“ zukommen zu lassen. Ob ihn das erfreut hätte?
Wie dem auch sei, meine und wahrscheinlich unsere Verehrung für ihn ist ungebrochen – um es in Anlehnung eines seiner Bücher zu sagen: Unvergessener Karl-Ernst Maedel!
Grüße
Stefan
(Den Text durfte ich mit freundlicher Genehmigung von Stefan Hinder nach hier übernehmen)
Den Zeilen von Stefan ist wirklich nichts hinzuzufügen.
Heino
Karl-Ernst Maedel zum Hundertsten
- Will-Heino Schweers
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